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Messer-Panik

Überblick: Rechte und konservative Akteure verwenden den Begriff „Messerkriminalität“ strategisch, um rassifizierte Communities zu kriminalisieren und weitgreifende Polizeimaßnahmen sowie harte Strafen zu rechtfertigen. In medialen und politischen Debatten dient dieses Konzept dazu, Migration mit angeblich zunehmender Gewaltkriminalität zu verknüpfen, obwohl es für einen solchen Zusammenhang keine Beweise gibt. Dies schürt eine moralische Panik, die sowohl ein hartes Vorgehen im vermeintlichen Kampf gegen Kriminalität als auch einen restriktiven Kurs in der Migrationspolitik legitimieren soll. Die Strafverfolgungsbehörden stärken dieses Narrativ, indem sie „Messerkriminalität“ als ein weit gefasstes Phänomen definieren, das eher mit politischer Rhetorik als mit einem spezifischen Straftatbestand übereinstimmt. Die uneinheitliche Anwendung dieser Bezeichnung führt zudem zu irreführenden Kriminalstatistiken über vermeintliche Entwicklungen in bestimmten Bereichen, die Racial Profiling und aggressive Strafverfolgung vorantreiben. In Gerichtsverhandlungen zeigt sich jedoch ein deutlicher Kontrast zwischen der Realität von Delikten mit Messern und den reißerischen Medienberichten, die die Tragweite solcher Taten oft überspitzen, und dabei rassistische Narrative bedienen. Gerichte verhängen unverhältnismäßig härtere Strafen für das Mitführen eines Messers während einer vermeintlichen Straftat. Dabei berücksichtigen sie nicht die Lebensrealitäten der Betroffenen – etwa, dass arme und wohnungslose Menschen ein Messer aus legitimen Gründen mit sich führen könnten. Gleichzeitig können rassifizierte Opfer von Gewalt nicht auf Gerechtigkeit durch das Strafsystem hoffen. Stattdessen werden sie häufig selbst verdächtigt oder für das, was ihnen widerfährt, verantwortlich gemacht, anstatt Unterstützung zu erhalten. Das Strafsystem spielt somit auf vielfältige Weise eine zentrale Rolle bei der Konstruktion einer moralischen Panik um „Messerkriminalität“.

In den letzten Jahren haben deutsche Medien und Politiker*innen zunehmend Narrative verbreitet, die Migrant*innen mit steigender Gewaltkriminalität in Verbindung bringen. Insbesondere das Narrativ, dass Migrant*innen für eine „Welle“ von Messerangriffen verantwortlich seien, hat an Bedeutung gewonnen, teilweise als Reaktion auf die tragischen Ereignisse in Solingen (2024) und Aschaffenburg (2025). Durch einzelne Gewalttaten angeheizt, konnte sich so eine moralische Panik um „Messerkriminalität“ entwickeln, die genutzt wird, um eine immer restriktivere Migrationspolitik zu rechtfertigen. Doch „Messerkriminalität“ ist keine klar definierte Kategorie, und entgegen der Berichterstattung bleibt die Gewaltkriminalität in Deutschland weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Ein genauerer Blick auf Strafverfahren, bei denen Messer eine Rolle spielen, zeigt, dass diese Fälle oft weit von dem in den Medien gezeichneten Bild brutaler Angriffe entfernt sind.

Das Narrativ, das im Zusammenhang mit „Messerkriminalität“ verbreitet wird, suggeriert, dass sich durch gestiegene Migrationszahlen eine neue, zunehmend gewalttätige Kriminalitätsform herausgebildet habe. Messer sind dabei zum Symbol des anhaltenden Mythos „Ausländerkriminalität“ geworden – nicht zuletzt durch die jahrelange Bemühung rechter Akteure, eine Verbindung zwischen Migrant*innen und gewalttätigen Messerattacken herzustellen.1 Durch die mediale Darstellung von Migrant*innen als gewalttätige Kriminelle und die Betonung vermeintlicher kultureller Unterschiede sollen rassistische Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Ziel ist es dabei, das Feindbild einer angeblichen kriminellen, fremden Klasse2 zu schaffen – welches sich vom ebenso imaginären Bild des „gesetzestreuen deutschen Bürgers“, der vor der vermeintlichen gefährlichen Gruppe geschützt werden müsse, absetzt. Auch wenn Gewalttaten mit Messern Teil der Realität sind, wird deren politische Instrumentalisierung – oft gegen den Willen der Angehörigen3 – genutzt, um eine verstärkte Kontrolle über rassifizierte Gruppen zu rechtfertigen. Stuart Hall und seine Kolleg*innen stellten zudem das Argument auf, dass die Orchestrierung moralischer Panik im Zusammenhang mit „Kriminalitätswellen“ gesellschaftliche Ängste vor wirtschaftlichem, sozialem und moralischem Verfall kanalisiert und dem Staat hilft, sich in Krisenzeiten zu stabilisieren.4

Das Narrativ der „Messerkriminalität“ dient dazu, immer härtere sicherheitspolitische Maßnahmen zu legitimieren, die insbesondere Migrant*innen und rassifizierte Menschen betreffen – oft im Sinne wahltaktischer Symbolpolitik. Bei den politischen Maßnahmen in Reaktion auf moralische Paniken um Messerangriffe zeigt sich, wie Migration und Gewaltkriminalität gleichgesetzt werden und wie repressive Maßnahmen gegen Migrant*innen als Kriminalitätsbekämpfung dargestellt werden. Das sogenannte Sicherheitspaket, das als Reaktion auf den Angriff in Solingen im August 2024 verabschiedet wurde, umfasst nicht nur eine Ausweitung der Polizeibefugnisse in mehrheitlich migrantisch geprägten Stadtteilen, sondern auch Einschränkungen bei Sozialleistungen für Asylbewerber*innen. Zudem wurden Waffenverbotszonen eingerichtet, in denen der Besitz eines Messers verboten und mit hohen Geldstrafen belegt ist. Diese Zonen werden in Gebieten eingeführt, in denen rassistisches Polizieren zur Tagesordnung gehören. Städte weisen in migrantischen Vierteln Gebiete als Waffenverbotszonen aus, die sich oft mit sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten überschneiden, in denen die Polizei befugt ist, ohne konkreten Verdacht zu kontrollieren. Waffenverbotszonen dienen als Deckmantel für ein noch stärkeres Racial Profiling in diesen Gebieten. Im Zuge der populistisch aufgeheizten Debatte über die Messerattacke in Aschaffenburg forderten Politiker*innen aller Couleur eine Ausweitung der Abschiebehaft, Ausweisungen, eine schnelle Inhaftierung und eine verstärkte Überwachung von Migrant*innen und Asylbewerber*innen, um im Namen der öffentlichen Sicherheit karzerale Maßnahmen gegen Migrant*innen durchzusetzen.

Die Polizei hat in den letzten Jahren daran gearbeitet, „Messerkriminalität“ als eigenständige Analysekategorie zu etablieren, wobei die genaue Definition dieser Kategorie vage bleibt. Zudem entspricht der Begriff keinem gesetzlich geregelten Straftatbestand. „Messerkriminalität“ kann eine Vielzahl von Delikten umfassen, von Körperverletzung über Raub bis hin zu Bedrohungen.5 Seit 2020 werden Messerangriffe als eigener Phänomenbereich in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst, allerdings zunächst uneinheitlich zwischen verschiedenen Bundesländern, sodass keine verlässlichen Aussagen über einen Anstieg derartiger Straftaten getroffen werden können.6 Nachdem ein Phänomenbereich wie „Messerkriminalität“ erst einmal festgelegt ist, veröffentlichen die Länder häufig diverse Berichte über die Entwicklung des Phänomens. Diese spiegeln die Probleme der polizeilich erfassten Kriminalitätsstatistiken wider. Unabhängig von den gemeldeten Zahlen bekräftigt sich dadurch der Eindruck, dass „Messerkriminalität“ besondere Aufmerksamkeit und Besorgnis erfordere.

Auf diese Weise liefern polizeilich ermittelte Phänomene wie „Clan-Kriminalität“ und „Messerkriminalität“ den Strafverfolgungsbehörden die Rechtfertigung für die Konzentration von Überwachungs- und Durchsuchungsmaßnahmen auf rassifizierte Gruppen.7 Dies führt zu häufigeren Festnahmen und Anzeigen, was wiederum die rassistische Vorstellung untermauert, dass bestimmte Gruppen besonders zu Kriminalität neigen.8 In der Medienberichterstattung über Kriminalitätsentwicklungen werden polizeiliche Daten als neutrale Quelle behandelt, wobei selten kontextualisiert wird, dass die unverhältnismäßige polizeiliche Überwachung rassifizierter Gruppen zu einer Überrepräsentation von rassifizierten Menschen im Strafsystem führt. Stattdessen verstärkt die Berichterstattung über solche Phänomene den Generalverdacht gegen migrantische Communities. Diese zyklische Logik – bei der rassistische Polizeiarbeit genau die Statistiken erzeugt, die weitere rassistische Polizeiarbeit rechtfertigen – ist ein zentrales Element des Diskurses über „Ausländerkriminalität“.

Die Realität von Straftaten im Zusammenhang mit Messern sieht allerdings ganz anders aus als die reißerischen Darstellungen in den Medien vermuten lassen. Zunächst sind sowohl die Gesamtkriminalität als auch viele Delikte der Gewaltkriminalität in Deutschland selbst anhand polizeilicher Daten langfristig gesehen rückläufig.9 Entgegen angstmachenden Erzählungen gehört Deutschland zu den Ländern mit den niedrigsten Zahlen von Tötungsdelikten durch Messer in Europa.10 Weiterhin haben Wissenschaftler*innen im Zusammenhang mit dem jährlichen Medienrummel um die polizeiliche Kriminalstatistik darauf hingewiesen, dass die öffentliche Wahrnehmung dessen, was ein Delikt bedeutet, nicht immer mit der Realität der Vielzahl von Vorfällen übereinstimmt, die als eine bestimmte Straftatbestand gezählt werden.11 So machen beispielsweise Delikte, bei denen es nicht zu körperlichen Verletzungen kommt, einen großen Teil des Phänomens aus.12 In der öffentlichen Wahrnehmung des Themas werden „Messerangriffe“ jedoch vor allem mit Mordversuchen oder sogar tödlichen Terroranschlägen assoziiert, da Medien häufig in diesem Kontext über das Thema berichten, insbesondere wenn die beschuldigte Person rassifiziert ist.13

Die Angst, die durch die Messer-Panik geschürt wird und der damit verbundene Ruf nach Versicherheitlichung, spiegeln weder die Realität von Gewalt, noch die schädlichen Auswirkungen der „Null Toleranz“- Politik wider. Während der weißen Mehrheitsgesellschaft suggeriert wird, dass sie sich Sorgen machen sollte, von Messergewalt betroffen zu werden, sind in Wirklichkeit rassifizierte Menschen unter den Betroffenen überrepräsentiert.14 Diese Betroffenen können jedoch keine Sicherheit oder Unterstützung von einer Institution erwarten, die sie systematisch kriminalisiert.15 Dies gilt vor allem dann, wenn die Betroffenen selbst Gefahr laufen, strafrechtlich beschuldigt zu werden – was häufig der Fall ist, wenn Menschen zum Beispiel von Abschiebung bedroht sind, keine Wohnung haben oder Drogen konsumieren. Die Debatten über die „wachsende Kriminalität“ berufen sich jedoch oft auf ein subjektives Sicherheitsgefühl, das sich auf die Wahrnehmung weißer Deutscher konzentriert und die Gewalt außer Acht lässt, der kriminalisierte Gruppen täglich ausgesetzt sind.16

Vor Gericht beobachten wir, wie der Fokus auf „Messerkriminalität“ sowohl die Verurteilung von rassifizierten Angeklagten verschärft als auch zur Kriminalisierung von migrantischen Gewaltbetroffenen beiträgt. Da das Projekt Racism on Trial in erster Linie den systemischen Rassismus in der alltäglichen Arbeit der Strafgerichte dokumentiert, konzentrieren sich unsere Beobachtungen vor allem auf sogenannte „Massendelikte“ – das heißt, auf Fälle, die einen großen Teil der Strafverfahren ausmachen, wie z.B. Diebstahlsfälle oder Drogendelikte. Zudem haben wir aber auch Verfahren wegen schwererer Delikte beobachtet. In einigen Fällen führt Racial Profiling dazu, dass Personen, die zunächst wegen geringfügiger Vergehen angehalten werden, zusätzlich wegen Messerbesitzes angeklagt werden.17 Selbst wenn kein Zusammenhang mit der Hauptanklage besteht, führt das bloße Mitführen eines Messers zu deutlich härteren Strafen und führt regelmäßig zu einem richterlichen Standpauke über die moralische Verwerflichkeit der mutmaßlichen Tat.18

Neben juristischen Grundlagen für die Verhängung härterer Strafen in Fällen, bei denen Waffen im Spiel sind, rechtfertigen Richter*innen ihre Entscheidungen mit rassistischen Stereotypen, die Migrant*innen als grundsätzlich gefährlich darstellen. So bringen Richter*innen beispielsweise den Besitz eines Messers mit Verwicklung in die „falschen Kreise“ in Verbindung und ziehen daraus Rückschlüsse auf die Verstrickung der Angeklagten in vermeintlich organisierte Kriminalität.19 Die realen und oft pragmatischen Gründe, warum Menschen, die in einem prekären Umfeld leben, manchmal Messer bei sich tragen, werden nicht in den Kontext gestellt. Messer sind nicht nur Waffen, sondern auch praktische Werkzeuge, die neben anderen Dingen des täglichen Bedarfs häufig zu den persönlichen Gegenständen von Menschen ohne festen Wohnsitz gehören.

Wir konnten beobachten, dass rassifizierte Betroffene von Gewalt ebenfalls dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie sich am „falschen Ort“ aufhalten oder beschuldigt werden, Teil eines vermeintlich „kriminellen Milieus“ zu sein20. Diese Form der Schuldzuweisung wirft Zweifel an der Vorstellung auf, dass Strafgerichte in der Lage sind, für rassifizierte Betroffene von Gewalt Gerechtigkeit herzustellen. Wenn Betroffene von Gewalt nicht in der Lage sind, die Angeklagten zu belasten, gelten sie als „unkooperativ“. Wenn sie nicht vor Gericht erscheinen, müssen sie mit Geldstrafen und polizeilichen Vorladungen zu Zeugenaussagen rechnen. Ihr Wert im Gerichtsverfahren wird auf ihren Nutzen für eine Verurteilung reduziert, während ihre Bedürfnisse – wie der Zugang zu Beratung, Gesundheitsversorgung, Entschädigung oder Wiedergutmachung – systematisch außer Acht gelassen und strukturell vom Verfahren ausgeschlossen werden. Letztlich zeigt dies, dass die Panik um „Messerkriminalität“ wenig damit zu tun hat, Sicherheit für alle herzustellen oder Gewalt effektiv entgegenzuwirken. Diese fabrizierte Panik ist ein politisches Instrument, das zur Rechtfertigung einer autoritären Politik eingesetzt wird, die von Rassismus und Armut betroffene Communities zur Zielscheibe macht.

Quellenangaben

  • 1

    Im Jahr 2018 äußerte sich Alice Weidel von der AfD in einer Bundestagsrede abfällig über „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner“ und griff damit einen von ihrer Partei propagierten rassistischen Diskurs auf. ‘AfD löst Tumulte im Bundestag aus’ (dw, 16.05.2018) <https://www.dw.com/de/afd-fraktionschefin-l%C3%B6st-tumulte-im-bundestag-aus/a-43802627>. Seitdem hat die AfD auch mehrere parlamentarische Anfragen gestellt, um dieses Bild vermeintlich zu belegen, einschließlich der Forderung, die häufigsten Vornamen von Verdächtigen zu erfahren (z.B. in einer schriftlichen Anfrage an das Berliner Abgeordnetenhaus – Drucksache 19 / 14 883 2023). Vgl. ‘Der häufigste Vorname bei Messer-Angriffen in Berlin: Christian!’ (Volksverpetzer, 22.02.2023) <https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/achtung-vor-christian/>.

  • 2

    Vgl. Elaine Williams und Peter Squires, Rethinking Knife Crime: Policing, Violence and Moral Panic? (Springer 2021).

  • 3

    ‘Angehörige warnen vor Instrumentalisierung und Hass’ (Tagesschau, 16.02.2025) <https://www.tagesschau.de/inland/muenchen-brief-angehoerige-100.html>.

  • 4

    Stuart Hall, Chas Critcher, Tony Jefferson, John Clarke und Brian Roberts, Policing the Crisis: Mugging, the State, and Law and Order (Macmillan 1978).

  • 5

    Fabio Ghelli und Donata Hasselmann, ‘Messerkriminalität: Welche Rolle Spielt Die Nationalität?’ (Mediendienst Integration, 14.01.2025) <https://mediendienst-integration.de/artikel/messerkriminalitaet-welche-rolle-spielt-die-nationalitaet.html>.

  • 6

    Jonas Miller, ‘#Faktenfuchs: Warum die Messerangriff-Zahlen intransparent sind’ (BR24, 15.09.2023) <https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-warum-die-messerangriff-zahlen-intransparent-sind,TpdrehK>.

  • 7

    Vgl. Michèle Winkler und Levi Sauer, ‘„Clankriminalität“ in Lagebildern – Unklare Definitionen, Eindeutiger Rassismus’ (Bürgerrechte & Polizei/CILIP, 12.08.2022) <https://www.cilip.de/2022/08/12/clankriminalitaet-in-lagebildern-unklare-definitionen-eindeutiger-rassismus/>.

  • 8

    Mohammed Ali Chahrour, Levi Sauer, Lina Schmid, Jorinde Schulz, Michèle Winkler (Hg.), Generalverdacht: Wie mit dem Mythos Clankriminalität Politik gemacht wird (Nautilus 2023).

  • 9

    Aus den Daten auf Bundesebene geht hervor, dass die Zahl der polizeilich registrierten Tatverdächtigen für Straftaten insgesamt und viele Gewaltdelikte in den 1990er Jahren einen Höchststand erreichte. Vgl. ‘T01 Grundtabelle - Fälle ab 1987 (V1.0)’ in PKS 2023 – Zeitreihen (Bundeskriminalamt 2024) <https://www.bka.de>.

  • 10

    European report on preventing violence and knife crime among young people (World Health Organization 2010).

  • 11

    Lenz Jakobsen und Tobias Singelnstein, ‘"Es ist bizarr, wie die Zahlen überinterpretiert werden"’ (Zeit, 07.04.2024) <https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-04/kriminalstatistik-kriminologie-tobias-singelstein-gewalt#:~:text=Singelnstein%3A%20Die%20PKS%20ist%20ein,sehen%20kann%20und%20erfassen%20will>.

  • 12

    Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2024 sind 43,3 Prozent der Straftaten im Phänomen „Messerangriff“ auf Bedrohung und 2,4 Prozent auf sonstige Straftaten, wie bspw. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Nötigung zurückzuführen (Polizeiliche Kriminalstatistik 2024: Ausgewählte Zahlen im Überblick, S. 20). In den Fußnoten heißt es dazu außerdem: „Aussagen zu Tatverdächtigen sind auf der Basis nicht möglich, da bei einem Fall der Körperverletzung mit ,Phänomen Messerangriff‘ bspw. auch neben dem bzw. der mit einem Messer drohenden oder handelnden Tatverdächtigen auch unbewaffnete Tatverdächtige erfasst sein können. Bis einschließlich Berichtsjahr 2023 waren die Daten nur eingeschränkt valide und wurde daher nur in ausgewählten Deliktsbereichen veröffentlicht.“

  • 13

    Vgl. Sven Kochale und Frank Asbrock, ‘Kriminalforscher: Warum sich Kriminalstatistiken und Sicherheitsgefühl unterscheiden können’ (mdr, 09.12.2024) <https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/kriminalitaet-statistik-sicherheit-grenzkontrollen-migration-100.html>; sowie Thomas Hestermann, ‘Expertise: Wie Medien über Messerangriffe berichten’ (Mediendienst Integration 2023/2025).

  • 14

    Nach den „Opfertabellen“, die zusammen mit der PKS veröffentlicht werden, sind Betroffene ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Bereichen wie „Gewaltkriminalität“ deutlich überrepräsentiert. Im Jahr 2024 machte diese Gruppe fast 35 % aller Betroffenen in dieser Kategorie aus (siehe ‘T911 Opfer nach Staatsangehörigkeit (V1.0)’ <https://www.bka.de>). Nicht mitgezählt sind migrantisierte Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit und die tatsächliche Zahl der rassistisch motivierten Opfer ist vermutlich deutlich höher, da aufgrund mangelnden Vertrauens in die Polizei weniger Vorfälle gemeldet werden.

  • 15

    Vgl. Eben Louw, ‘Erfahrungen von Opfern rassistischer Taten mit der Justiz’ in Rassistische Straftaten erkennen und verhandeln: Ein Reader für die Strafjustiz (Deutsches Institut für Menschenrechte 2023).

  • 16

    Vgl. Gegenbericht zum Jahresbericht der Berliner Polizei zu den sogenannten “kriminalitätsbelasteten Orten” vom 22.07.2022 (Ihr Seid Keine Sicherheit 2023) <https://jimdo-storage.global.ssl.fastly.net/file/4672070c-fcbd-4a71-bb4d-3d0ec43c5cb7/Gegenbericht_ISKS_15032023.pdf>.

  • 17

    Fall 3

  • 18

    Fall 26

  • 19

    Fall 28

  • 20

    Fall 24

Fälle aus unserem Archiv

Fall 25

Ohne eine anwesende angeklagte Person oder anwaltliche Vertretung erlässt das Gericht einen Strafbefehl, um eine Person per Post zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft drängt auf eine harte Strafe und darauf, den Tatbestand „Diebstahl mit Waffen“ beizubehalten, obwohl es wenige Beweise gibt und weder die angeklagte Person noch Zeug*innen befragt werden. Obwohl die Richterin mit der ursprünglichen Empfehlung der Staatsanwaltschaft für eine Haftstrafe nicht einverstanden ist, verhängt sie eine hohe Geldstrafe von mehr als 1.300 Euro für den Diebstahl von Lebensmitteln.

Knife Panic
Criminalizing Poverty
Fine
Theft

Fall 27

Ein Mann, der wegen versuchter Körperverletzung mit einer Waffe verurteilt wurde, legt Berufung gegen sein Urteil ein. Die Verhandlung erfolgt unmittelbar nach einer Welle populistischer Stimmungsmache aufgrund eines Messerangriffs. Während der Verhandlung herrscht ein feindseliges, im Zuge der Messerpanik aufgeheiztes, Klima: Die Verteidigung wird daran gehindert, Zeug*innen zu befragen, während die Richterin und die Staatsanwältin darauf erpicht sind, den Angeklagten in Untersuchungshaft zu behalten, was auch seine Abschiebung erleichtern würde. Obwohl das Berufungsverfahren mangelnde Beweise offenlegt, besteht das Gericht auf eine hohe Haftstrafe. Der Angeklagte wird nach der zweiten Anhörung und zwölf Monaten in Untersuchungshaft freigelassen, da er seine Strafe bereits verbüßt hat.

Knife Panic
Enforcing Borders
Prison
Assault

Fall 24

Das Gericht verhandelt einen Fall, in dem ein junger Mann wegen mehrerer Delikte angeklagt ist, darunter Drogendelikte, Körperverletzung und Raub, wobei mehrfach ein Messer verwendet wurde. Nach sechs Anhörungen, die hauptsächlich aus der Vernehmung von Polizeizeugen bestehen, wird der Mann zu einer Gefängnisstrafe und einer Drogentherapie im Maßregelvollzug mit einer Gesamtdauer von fast sieben Jahren verurteilt. Das Gericht geht während der Verhandlung nicht auf die Bedürfnisse der Opfer ein: Stattdessen werden ihnen Suggestivfragen gestellt, die der Rechtfertigung einer harten Strafe dienen, und das Gericht macht sich stellenweise über sie lustig. Der strukturelle Kontext der Taten des Angeklagten wird in dem Verfahren weitgehend ausgeblendet.

Knife Panic
Racist Policing
Prison
Assault
Drug Offense
Other Offenses

Fall 3

Ein junger, migrantisierter Mann sitzt vier Monate in U-Haft. Er gesteht, eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug gestohlen zu haben und wird dafür verurteilt. Der Richter verhängt eine Freiheitsstrafe in Höhe der bereits verbüßten Zeit, wodurch sich offenbar die Möglichkeit einer Haftentschädigung für den Mann erübrigt.

Racist Policing
Knife Panic
Criminalizing Poverty
Prison
Theft

Perspektiven