Fall 26
| Fallnummer | 26 | 
| Anklage | Diebstahl | 
| Verteidigung anwesend | Nein | 
| Übersetzung anwesend | Ja | 
| Rassifizierte Person | Ja | 
| Ausgang | Bewährungsstrafe | 
Ein junger Mann steht wegen Diebstahls vor Gericht. Während der Verhandlung erfährt er, dass seine Strafe hoch ausfallen wird, weil er ein Messer bei sich hatte, obwohl es laut Beweislage nicht während der Tat verwendet wurde. Die Richterin droht dem Angeklagten mit einer Haftstrafe. Ohne anwaltlichen Rat bleibt ihm offenbar wenig übrig, als die harte Strafe zu akzeptieren und sich die Unterstellungen der Richterin gefallen zu lassen, dass er gewerbsmäßig stiehlt – genau wie die nicht näher spezifizierten „anderen“, auf die sich die Richterin bezieht.
Dieser Fall zeigt, wie das Strafgericht sich als Vollstrecker des Migrationssystems versteht. Die Richterin hatte vor der Verhandlung Absprachen mit den Migrationsbehörden getroffen und scheint den Angeklagten in seinem Strafverfahren wegen vermeintlicher administrativer Probleme in Zusammenhang mit seinem Migrationsstatus härter zu bestrafen. Der Fall verdeutlicht auch, wie der Besitz eines Messers die Schwere der Strafe erhöht, selbst wenn aus den Beweisen hervorgeht, dass das Messer während der mutmaßlichen Tat nicht benutzt wurde. Gerichte nehmen an, dass Menschen, die Messer mit sich führen, gewalttätig sind und erkennen nicht an, dass für viele wohnungslose oder anderweitig marginalisierte Menschen Messer zur Selbstverteidigung oder als notwendiges Alltagswerkzeug dienen. Gerichte lassen sich von der moralischen Panik über „Messerkriminalität“ beeinflussen. In diesem Fall droht das Gericht mit einer Haftstrafe – eine Drohung, die beim Angeklagten spürbare Angst auslöst. Der Fall veranschaulicht die Gewalt, die dem Narrativ der „Ausländerkriminalität“ und seinen Ablegern innewohnt, und wie diese Narrative die Erfahrungen beeinflussen, die migrantisierte Menschen mit dem Strafsystem machen.
Die Richterin beginnt den Fall mit der Bemerkung, dass ein Polizeieinsatz erforderlich war, um das Erscheinen des Angeklagten vor Gericht sicherzustellen, und suggeriert damit, der Angeklagte habe absichtlich versucht, die Zustellung seiner Ladung zu verhindern. Aus dem Gesprächsverlauf wird jedoch nicht deutlich, ob der Angeklagte sich überhaupt eines Problems mit seiner Anmeldung bewusst war. Die Richterin überreicht ihm einen Strafbefehl für einen weiteren Diebstahlsfall und erklärt, dass dieser rechtskräftig sei, obwohl der Angeklagte ihn vorher nicht erhalten hatte.
Nach dem Verlesen der Anklage im aktuellen Fall gibt der Angeklagte zu, Parfüm für seine Frau gestohlen zu haben. Das Gericht zeigt ihm ein Foto des Messers, das bei seiner Festnahme gefunden wurde. Der Mann erklärt, dass er es zu Hause in der Küche benutze und nicht wusste, dass er es während der Tat bei sich hatte. Die Richterin erklärt ihm, dass das Mitführen eines Messers während eines Diebstahls die Anklage auf Diebstahl mit Waffe erhöht. Sie fügt hinzu: „Ich schneide auch Obst und Fleisch zu Hause, aber es würde mir nicht einfallen, ein Messer mitzunehmen.“
Dann lenkt sie das Gespräch auf den Strafbefehl und fragt den Angeklagten: „Haben Sie sich jemals Gedanken darüber gemacht, wie Sie das bezahlen werden?“ Er bejaht das und fragt, ob er in Raten zahlen könne. Die Richterin lächelt und erklärt, dass es sich nun um Diebstahl mit einer Waffe handele und sie sehe keinen Grund für Strafmilderung.
Die Staatsanwältin argumentiert, der Angeklagte habe das Messer in vollem Wissen mit sich getragen und fordert daher eine lange Haftstrafe auf Bewährung. Die Richterin reduziert die beantragte Strafe um zwei Monate, folgt aber ansonsten der Einschätzung der Staatsanwältin, dass eine harte Strafe angemessen sei. Sie erklärt, dass es besser sei, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, damit der Angeklagte arbeiten könne, was für seine Integration besser sei. Sie warnt ihn, dass er bei einer erneuten Verurteilung ins Gefängnis kommen werde und betont, dass sein Kind ihn nach der Haftzeit nicht wiedererkennen würde. Sie bezweifelt, dass das Parfüm wirklich für seine Frau war und unterstellt ihm, er habe versucht, damit Geld zu machen „so wie das die anderen auch machen“. Sie beendet die Verhandlung mit einer Reihe von Ermahnungen an den Angeklagten: Er solle sich von Straftaten fernhalten, seine Post öffnen und seinen Wohnsitz ordnungsgemäß anmelden.


