Fall 5
Fallnummer | 5 |
Anklage | Diebstahl |
Verteidigung anwesend | Nein |
Übersetzung anwesend | Nein |
Rassifizierte Person | Nein |
Ausgang | Geldstrafe |
Ein Mann wird zu 140 Tagessätzen à 15 € für einen Diebstahl von Lebensmitteln im Wert von unter 5 € verurteilt. Als Bürgergeldempfänger entspricht dieser Tagessatz fast dem Gesamtbetrag, der ihm täglich zur Verfügung steht. Die Richterin hält die harte Strafe im Hinblick auf die Vorstrafen des Angeklagten für notwendig.
Dieser Fall zeigt geradezu exemplarisch, wie Armut kriminalisiert wird und wie Kriminalisierung gleichzeitig zu Armut führt bzw. sie verfestigt. Die Richterin verurteilt den Mann zu einer sehr hohen Geldstrafe, obwohl er als Bürgergeldempfänger am Existenzminimum lebt. Zudem ist er durch vorherige Geldstrafen bereits finanziell belastet. Die Richterin hinterfragt nicht, warum der Angeklagte eine solche Menge an „einschlägigen“ Vorstrafen hat und warum diese ihn nicht von weiteren Straftaten abgehalten haben.
Besonders die Einleitung in ihr Urteil ist hierbei bemerkenswert. So impliziert die Richterin zwar, dass sie sich durchaus in einem Zwiespalt befindet, der aus der Realität von Armut und der staatlichen Forderung nach Schutz von Privateigentum entsteht. Gleichzeitig macht sie jedoch den Angeklagten für diesen Zwiespalt verantwortlich („Sie machen es einem nicht leicht.“) und distanziert sich schon im nächsten Satz sprachlich („Was soll man machen?“) von ihrem eigenen Urteil.
Zusammen mit den vorherigen Geldstrafen wird der Mann mindestens 33 Monate brauchen, um alle seine Geldstrafen abzuzahlen. Denn das Gericht geht davon aus, dass er ein Drittel seiner monatlichen Sozialleistungen für Ratenzahlungen aufwenden kann. Praktisch verfügt er damit für fast drei Jahre noch weniger als ein sowieso schon knapp bemessenes „Existenzminimum“.
Die Verhandlung findet als sogenanntes beschleunigtes Verfahren statt und dauert insgesamt nur fünf Minuten. Auch nach Verkündung des Urteils drängt die Richterin auf ein schnelles Durchführen der nächsten Verhandlung. Der Angeklagte hat keine anwaltliche Vertretung und gibt die Tat zu. Er guckt während der gesamten Verhandlung nach unten und macht nicht von seinem Recht Gebrauch, sich und seine Situation in einem Plädoyer zu erklären.
Er ist ein weißer Mann mittleren Alters mit deutscher Staatsangehörigkeit und hat ein erwachsenes Kind. Er bezieht Bürgergeld und ihm wird vorgeworfen, dass er in einem Supermarkt versucht habe, Lebensmittel im Wert von unter 5 € zu stehlen. Dies misslang und dem Supermarkt ist kein Schaden entstanden. Dennoch betont die Richterin, dass sich dieser Vorfall in eine Reihe anderer Diebstähle und „Beförderungserschleichungen“ in einem Zeitraum von fast 30 Jahren einreihe. Gegen den Angeklagten wurden bereits zwei Geldstrafen wegen Fahrens ohne Fahrschein verhängt, insgesamt in einer Höhe von über 2.000 €.
Die Staatsanwaltschaft räumt ein, dass es sich um einen geringwertigen Diebstahl handelt und auch das Geständnis der Tat für den Angeklagten spricht. Die Vorstrafen sprechen gegen ihn. Daraufhin fordert die Staatsanwaltschaft eine sehr hohe Strafe von 140 Tagessätzen à 15 €.
Die Richterin folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verurteilt den Mann zu einer Gesamtstrafe von 2.100 €. Die Begründung des Urteils beginnt die Richterin, indem sie die Eigenverantwortlichkeit des Mannes betont: „Sie machen es einem nicht leicht. Was soll man machen?“ Auch sie erwähnt den geringen Wert der Lebensmittel, betont jedoch vor allem die Vorstrafen des Mannes. Die hohe Anzahl an Tagessätzen rechtfertigt die Richterin damit, dass ihr angesichts der vorher verhängten Geldstrafen nichts übrig bliebe, als die diesmalige Strafe noch deutlicher zu verschärfen.