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Zusammenfassung

Eine Frau kommt für eine medizinische Behandlung nach Deutschland. Ihre Familie sammelt mehrere tausend Euro, damit sie die Kosten vorab bezahlen und dadurch ein Visum erhalten kann. Eine deutsche Behörde beschuldigt sie der Ausweisfälschung. Obwohl die Staatsanwaltschaft einräumt, dass der Angeklagten keine Täuschungsabsicht nachzuweisen ist und einen Freispruch fordert, verurteilt das Gericht sie zu einer hohen Geldstrafe und setzt somit ihren Aufenthalt in Deutschland und ihre Gesundheit aufs Spiel.

Kommentar

Der Richter äußert in diesem Fall den falschen Vorwurf, die Frau sei auf nicht legale Weise eingewandert. Das zeugt von der tiefen Verwurzelung rassistischer Vorurteile in Deutschland und seinem Strafsystem. Dieses Vorurteil prägt offensichtlich seine Haltung: Selbst der von der Staatsanwaltschaft eingeräumte Mangel an Beweisen findet bei ihm keine Beachtung. Auch die medizinische Notsituation der Frau bleibt in seiner Bewertung unberücksichtigt. Der Fall zeigt zudem, wie Gerichte als Instrument der Migrationskontrolle fungieren: Durch strafrechtliche Sanktionen werden zusätzliche Hürden für migrantisierte Menschen geschaffen, die ihre Lebensbedingungen und ihren Aufenthaltsstatus weiter destabilisieren.

Bericht

Die beschuldigte Frau betritt den Gerichtssaal in Begleitung ihres Anwalts und eines Dolmetschers. Während der Verhandlung erfahren wir, dass sie etwa zwei Jahre zuvor für lebensnotwendige medizinische Behandlungen nach Deutschland gekommen war, nachdem mehrere Behandlungsversuche in ihrem Heimatland gescheitert waren. Ihre Familie hatte mehrere tausend Euro gesammelt, um die Behandlungskosten im Voraus zu decken und ihr somit zu ermöglichen, ein Visum zu erlangen.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau vor, ein Ausweisdokument gefälscht und damit bei einer Behörde eine falsche Identität angegeben zu haben. Der Anwalt der Angeklagten erklärt die Umstände ihrer Einreise nach Deutschland und wie sie an das Ausweisdokument kam, welches die Behörde einem forensischen Bericht zufolge als gefälscht identifizierte. Der Anwalt erklärt, dass die Botschaft in ihrem Heimatland das Dokument anerkannt habe und die Frau demnach keinen Grund zu der Annahme hatte, es könnte gefälscht sein.

Der Richter bezweifelt diese Schilderung und nimmt fälschlicherweise an, der Visumantrag der Angeklagten sei abgelehnt worden. Der Anwalt korrigiert ihn und erklärt, dass dem Antrag aus medizinischen Gründen stattgegeben wurde.

Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung plädieren für einen Freispruch, aber der Richter beharrt darauf, dass die Fälschung belegt sei. Zudem habe er keine Zweifel an den Täuschungsabsichten der Angeklagten. Der Anwalt erklärt erbost, er werde Einspruch einlegen.

Fälle aus unserem Archiv

Fall 28

Eine Frau wurde per Strafbefehl zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die ihr gerichtlich zugeteilte Pflichtverteidigung legte dagegen Einspruch ein. Bei der Verhandlung ist weder die Verteidigung noch eine angemessene Dolmetschung anwesend. Da die Frau zum Tatzeitpunkt eine in Deutschland verbotene Waffe bei sich trug, drängt die Richterin sie dazu, den Einspruch zurückzunehmen, da sie aus ihrer Sicht bereits eine milde Strafe erhalten habe. Sie urteilt hart über sie, weil sie mit „den falschen Leuten“ zu tun habe, und fordert sie auf, ihrem Kind ein besseres Beispiel zu geben.

Messer-Panik
Bewährungsstrafe
Diebstahl

Fall 27

Ein Mann, der wegen versuchter Körperverletzung mit einer Waffe verurteilt wurde, legt Berufung gegen sein Urteil ein. Die Verhandlung erfolgt unmittelbar nach einer Welle populistischer Stimmungsmache aufgrund eines Messerangriffs. Während der Verhandlung herrscht ein feindseliges, im Zuge der Messerpanik aufgeheiztes, Klima: Die Verteidigung wird daran gehindert, Zeug*innen zu befragen, während die Richterin und die Staatsanwältin darauf erpicht sind, den Angeklagten in Untersuchungshaft zu behalten, was auch seine Abschiebung erleichtern würde. Obwohl das Berufungsverfahren mangelnde Beweise offenlegt, besteht das Gericht auf eine hohe Haftstrafe. Der Angeklagte wird nach der zweiten Anhörung und zwölf Monaten in Untersuchungshaft freigelassen, da er seine Strafe bereits verbüßt hat.

Messer-Panik
Strafe als Grenzmechanismus
Haftstrafe
Körperverletzung

Fall 26

Ein junger Mann steht wegen Diebstahls vor Gericht. Während der Verhandlung erfährt er, dass seine Strafe hoch ausfallen wird, weil er ein Messer bei sich hatte, obwohl es laut Beweislage nicht während der Tat verwendet wurde. Die Richterin droht dem Angeklagten mit einer Haftstrafe. Ohne anwaltlichen Rat bleibt ihm offenbar wenig übrig, als die harte Strafe zu akzeptieren und sich die Unterstellungen der Richterin gefallen zu lassen, dass er gewerbsmäßig stiehlt – genau wie die nicht näher spezifizierten „anderen“, auf die sich die Richterin bezieht.

Messer-Panik
Strafe als Grenzmechanismus
Bewährungsstrafe
Diebstahl

Fall 25

Ohne eine anwesende angeklagte Person oder anwaltliche Vertretung erlässt das Gericht einen Strafbefehl, um eine Person per Post zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft drängt auf eine harte Strafe und darauf, den Tatbestand „Diebstahl mit Waffen“ beizubehalten, obwohl es wenige Beweise gibt und weder die angeklagte Person noch Zeug*innen befragt werden. Obwohl die Richterin mit der ursprünglichen Empfehlung der Staatsanwaltschaft für eine Haftstrafe nicht einverstanden ist, verhängt sie eine hohe Geldstrafe von mehr als 1.300 Euro für den Diebstahl von Lebensmitteln.

Messer-Panik
Kriminalisierung von Armut
Geldstrafe
Diebstahl

Perspektiven