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Zusammenfassung

Drei junge Männer werden wegen Diebstahls vom Schnellgericht vorgeladen. Da das Gericht für einen von ihnen keine*n Dolmetscher*in geladen hat, wird er nicht angehört. Stattdessen erhält er per Post einen Strafbefehl. Die beiden anderen Personen werden nach einer kurzen Anhörung zu je 600 € Geldstrafe verurteilt.

Kommentar

Wie in vielen Fällen, die wir beobachten, versucht das Gericht das Verfahren auf verschiedene Weisen abzukürzen – mit negativen Konsequenzen für die Beschuldigten. Die dritte beschuldigte Person (P3) erscheint zwar vor Gericht, erhält aber keine Gelegenheit auszusagen. Grund dafür ist, dass das Gericht es versäumt hat, eine*n geeignete*n Dolmetscher*in zu bestellen und dies nun auch nicht nachholen will. Die Richterin verurteilt die beiden anderen Männer zu einer Strafe mit einem Tagessatz in Höhe von 15 €, obwohl sie als Asylbewerber wahrscheinlich nur über sehr begrenzte oder gar keine Mittel verfügen. Das Gericht hätte sie zu ihrer finanziellen Lage befragen und niedrigere Geldstrafen festsetzen sollen, was nicht passiert ist. Dieses Vorgehen zeigt, wie Gerichte mit Hilfe vermeintlich neutraler Vorschriften und Praktiken als Teil eines rassistischen Grenzregimes handeln: Die Richterin verurteilt die drei Männer zu einer hohen Strafe und äußert ihre Hoffnung, sie mögen das Land verlassen.

Bericht

Im Prozess geht es um drei junge Männer, denen vorgeworfen wird, gemeinsam Kleidungsstücke im Wert von etwa 150 € gestohlen zu haben. Am Anfang gibt es eine lange Diskussion um den Dolmetscher, der für alle drei Männer geladen wurde. Allerdings sprechen nur zwei von ihnen dieselbe Sprache. Der Dolmetscher kann sich zwar mit dem dritten Mann (P3) einigermaßen verständigen, allerdings ist er nicht für die Sprache zugelassen, die dieser Mann spricht.

Die Richterin, die Staatsanwältin und der Dolmetscher beraten sich. Sie beschließen, P3 per Strafbefehl zu verurteilen, anstatt das Verfahren zu vertagen und eine*n zusätzliche*n Dolmetscher*in zu bestellen. P3 teilt dem Gericht mit, dass er plane, Deutschland innerhalb weniger Wochen zu verlassen und in sein Heimatland zurückzukehren. Die Richterin sagt, sie hoffe, dass er den Strafbefehl noch vor seiner Abreise erhalte.

Als das geklärt ist, wird das Verfahren mit den beiden anderen Männern fortgesetzt. Beide sind jung, erst seit kurzer Zeit in Deutschland und haben keine Arbeitserlaubnis. Sie gestehen, die Kleidungsstücke gestohlen zu haben. Nach einem kurzen Austausch darüber, welche Gegenstände P1 genau entwendet hat, beendet die Richterin die Befragung. Beide werden zu Geldstrafen von 40 Tagessätzen à 15 € verurteilt, also insgesamt 600 €. Die Richterin bezeichnet das als „ausreichend“, denn es könne schließlich sein, dass sie das Land wieder verlassen. Worauf die Richterin hier genau anspielt, wird nicht näher erläutert.

Fälle aus unserem Archiv

Fall 28

Eine Frau wurde per Strafbefehl zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die ihr gerichtlich zugeteilte Pflichtverteidigung legte dagegen Einspruch ein. Bei der Verhandlung ist weder die Verteidigung noch eine angemessene Dolmetschung anwesend. Da die Frau zum Tatzeitpunkt eine in Deutschland verbotene Waffe bei sich trug, drängt die Richterin sie dazu, den Einspruch zurückzunehmen, da sie aus ihrer Sicht bereits eine milde Strafe erhalten habe. Sie urteilt hart über sie, weil sie mit „den falschen Leuten“ zu tun habe, und fordert sie auf, ihrem Kind ein besseres Beispiel zu geben.

Messer-Panik
Bewährungsstrafe
Diebstahl

Fall 27

Ein Mann, der wegen versuchter Körperverletzung mit einer Waffe verurteilt wurde, legt Berufung gegen sein Urteil ein. Die Verhandlung erfolgt unmittelbar nach einer Welle populistischer Stimmungsmache aufgrund eines Messerangriffs. Während der Verhandlung herrscht ein feindseliges, im Zuge der Messerpanik aufgeheiztes, Klima: Die Verteidigung wird daran gehindert, Zeug*innen zu befragen, während die Richterin und die Staatsanwältin darauf erpicht sind, den Angeklagten in Untersuchungshaft zu behalten, was auch seine Abschiebung erleichtern würde. Obwohl das Berufungsverfahren mangelnde Beweise offenlegt, besteht das Gericht auf eine hohe Haftstrafe. Der Angeklagte wird nach der zweiten Anhörung und zwölf Monaten in Untersuchungshaft freigelassen, da er seine Strafe bereits verbüßt hat.

Messer-Panik
Strafe als Grenzmechanismus
Haftstrafe
Körperverletzung

Fall 26

Ein junger Mann steht wegen Diebstahls vor Gericht. Während der Verhandlung erfährt er, dass seine Strafe hoch ausfallen wird, weil er ein Messer bei sich hatte, obwohl es laut Beweislage nicht während der Tat verwendet wurde. Die Richterin droht dem Angeklagten mit einer Haftstrafe. Ohne anwaltlichen Rat bleibt ihm offenbar wenig übrig, als die harte Strafe zu akzeptieren und sich die Unterstellungen der Richterin gefallen zu lassen, dass er gewerbsmäßig stiehlt – genau wie die nicht näher spezifizierten „anderen“, auf die sich die Richterin bezieht.

Messer-Panik
Strafe als Grenzmechanismus
Bewährungsstrafe
Diebstahl

Fall 25

Ohne eine anwesende angeklagte Person oder anwaltliche Vertretung erlässt das Gericht einen Strafbefehl, um eine Person per Post zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft drängt auf eine harte Strafe und darauf, den Tatbestand „Diebstahl mit Waffen“ beizubehalten, obwohl es wenige Beweise gibt und weder die angeklagte Person noch Zeug*innen befragt werden. Obwohl die Richterin mit der ursprünglichen Empfehlung der Staatsanwaltschaft für eine Haftstrafe nicht einverstanden ist, verhängt sie eine hohe Geldstrafe von mehr als 1.300 Euro für den Diebstahl von Lebensmitteln.

Messer-Panik
Kriminalisierung von Armut
Geldstrafe
Diebstahl

Perspektiven